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Offener Brief: Das Vorgehen der CDU/CSU-Fraktion gegen die unabhängige Zivilgesellschaft
*An english version of the letter is available here.*
An den
Vorstand der
CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
Friedrich Merz, Alexander Dobrindt
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Sehr geehrter Herr Merz, sehr geehrter Herr Dobrindt,
am 21. Februar 2025 hat die CDU/CSU-Fraktion in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung Auskunft über die mögliche Parteilichkeit von 17 deutschen Nichtregierungsorganisationen eingefordert und darüber, ob etwaige staatliche Zuwendungen für parteipolitische Tätigkeiten eingesetzt werden.
Die Anfrage hat nicht nur in der deutschen Öffentlichkeit für Unruhe gesorgt. Auch in der internationalen Zivilgesellschaft, die gerade durch den katastrophalen Förderstopp der US-Administration ins Mark getroffen wurde, wirft diese Einlassung Fragen über die Belastbarkeit der künftigen deutschen Regierungsparteien auf, wenn es um Demokratieförderung und den Schutz der unabhängigen Zivilgesellschaft geht. Auch die AfD hat in den vergangenen Jahren wiederholt Organisationen, die ihrem autoritären Politikverständnis entgegenstehen, mit vergleichbaren Anfragen auf der Landes- und Bundesebene ins Visier genommen.
Deutsche Organisationen, die sich für internationale Demokratieförderung und die Zusammenarbeit mit unabhängigen Zivilgesellschaften weltweit einsetzen – wie im übrigen natürlich auch die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung und die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung – wissen, wie durch so einen Generalangriff Misstrauen gegenüber zivilgesellschaftlichen Akteuren gestreut wird und die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen in Zweifel gezogen wird.
Aus unseren Arbeitserfahrungen aus Osteuropa (Aserbaidschan, Belarus, Russland) ist uns der Vorwurf gegen Nichtregierungsorganisationen, staatliche Finanzierung für politische Tätigkeiten zu nutzen, sehr gut bekannt. Er legitimiert restriktive Gesetze zur Regelung von zivilgesellschaftlicher Arbeit in der Region. In vielen Staaten hat der Erlass solcher Gesetze zur Zerstörung unabhängiger gesellschaftlicher Räume und zur Inhaftierung von Kritiker:innen der autoritären Regime und aktiven Vertreter:innen der lokalen Zivilgesellschaften geführt. Die verheerenden Folgen, die übergriffige staatliche Kontrolle gesellschaftlicher Tätigkeit haben kann, sehen wir heute auch in EU-Mitgliedsstaaten wie Ungarn oder der Slowakei. Es ist fatal, dass zukünftige deutsche Regierungsparteien derartige Verfahren heute in Deutschland anwenden und damit implizit das Vorgehen autoritärer Regime legitimieren. Europa schaut zu!
Wir stehen in Solidarität mit den von der Kleinen Anfrage betroffenen Organisationen. Die CDU/CSU-Fraktion sollte den Ruf Deutschlands als starker Partner der einheimischen und internationalen demokratischen Zivilgesellschaft – gerade nach dem Wegfall der US-amerikanischen Institutionen – nicht fahrlässig aufs Spiel setzen. Wir erwarten, dass sich die CDU/CSU-Fraktion an die bestehenden internationalen rechtlichen Standards und Konventionen hält und die Unterstützung für zivilgesellschaftliche Akteure fortsetzt.
Mit freundlichen Grüßen
Austausch e.V.
Boris Nemtsov Foundation for Freedom gGmbH
Civil Society Forum e. V. (Vorstand)
CISR e.V.
Comoon e.V. (Vorstand)
Coopera e.V. (Vorstand)
Dialogue for Understanding e. V.
Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde e.V.
Europäischer Austausch gGmbH
Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
jinn gGmbH
Libereco – Partnership for Human Rights e.V.
MEMORIAL Deutschland e.V. (Vorstand)
n-ost e.V.
OWEN e.V.
Science at Risk Emergency Office / Akademisches Netzwerk Osteuropa, akno e. V.
Hintergrundinformationen
Die Diskussion um die politische Betätigung von Nichtregierungsorganisationen ist alt, wiederholt wissenschaftlich diskutiert und gerichtlich beurteilt worden. So setzen sich der Bundesverband deutscher Stiftungen oder die Maecenata Stiftung unmissverständlich für die politische Meinungs- und Handlungsfreiheit gemeinnütziger Organisationen im Rahmen ihrer Zweckverfolgung ein. Sie unterstreichen, dass nach geltender Rechtslage politische Äußerungen gemeinnützigen Organisationen grundsätzlich erlaubt sind und dass „der Grundsatz der parteipolitischen Neutralität nicht als Gebot sachpolitischer Zurückhaltung missverstanden werden darf“.
Auch im internationalen Kontext findet der staatliche Schutzauftrag für die Autonomie zivilgesellschaftlicher Tätigkeit seinen Niederschlag. So hat sich die Venedig-Kommission des Europarats in den vergangenen Jahren anlässlich entsprechender repressiver Gesetzesentwürfe in Bosnien-Herzegowina, Georgien, Serbien, der Slowakei und Ungarn eindeutig gegen unbegründete staatliche Einschränkungen zivilgesellschaftlicher Tätigkeiten ausgesprochen.
Das Ministerkomitee des Europarats hat in seiner wegweisenden und detaillierten Empfehlung CM/Rec(2018)11 zur Stärkung und zum Schutz des zivilgesellschaftlichen Raums in Europa die Mitgliedsstaaten aufgefordert, das Recht von Menschenrechtsverteidigern und Zivilgesellschaftsorganisationen, internationale und einheimische finanzielle Quellen für ihre Zwecke einzusetzen, nicht zu beschneiden.
Auch die UNO hat in Artikel 13 der Erklärung zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern von 1998 festgestellt, dass jeder das Recht hat, allein oder mit anderen, [finanzielle] Mittel für den friedlichen Schutz von Menschen- und Grundrechten zu sammeln, zu erhalten und einzusetzen.
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